1.5  Methoden und Instrumente der Kybernetik
1.5.2   System- und Prozessanalyse Kyb 1520 [1/2]
a) Begriffsbestimmung
Das bereits auf Seite Kyb 1210 erläuterte Systemherangehen  wird - unter Einschluss der Modellmethode - seit langem in vielen Bereichen angewendet, wobei der Einfluss der Kybernetik auf die Entwicklung der theoretischen Grundlagen und der Methodologie der System- und Prozessanalyse unverkennbar ist.


Unter System- und Prozessanalyse ist ein zielgerichteter, interdisziplinär zu organisierender Arbeitsprozess zu verstehen, der das Aufdecken, die modellmäßige Beschreibung sowie i. d. R. auch die experimentelle Untersuchung jener Merkmale und Eigenschaften eines Untersuchungsobjekts zu Inhalt hat, die den Systemcharakter und die Gesetzmäßigkeiten des Funktionierens und Verhaltens der im System sowie zwischen System und Umgebung ablaufenden Prozesse unter Einwirkung von Stör- und Steuereinflüssen bestimmen.
Charakteristisch für die kybernetisch orientierte System- und Prozessanalyse ist eine ganz bestimmte Methodologie des Vorgehens, welche die Anwendung der Modellmethode und rechnergestützter Software-Tools einschließt.
b) Vorgehen
Wichtige Etappen und Ergebnisse der System- und Prozessanalyse sind:

Erste Etappe: Bestimmung des Objektbereichs durch Systemabgrenzung, Kennzeichnung der Funktion des Systems, Klärung der Ziele der Ziele der System- und Prozessanalyse.
Dies bedeutet, dass der zu untersuchende Objektbereich (z. B. ein Unternehmen) zunächst als Black-Box behandelt wird.
Auf diese Weise ist es möglich, einen abgegrenzten Objektbereich beliebiger innerer Komplexität zu untersuchen, ohne sich mit Fragen der seiner Organisation des Bereiches zu befassen.
Wichtig ist nur die Erfassung der Beziehungen zwischen System und Umgebung (prozessbedingte Inputs und Outputs, externe externe Steuer- und Störeinflüsse, ggf. auch Standort und Wirkungsraum).
Diese erste Etappe der Systemanalyse wird auch als Makro-Untersuchung bezeichnet.

Zweite Etappe: Untersuchung der inneren Systemorganisation, der Struktur des Systems sowie der typischen Basisprozesse, vor allem mit dem Ziel, zu klären, ob das System mit der ermittelten Systemorganisation überhaupt in der Lage ist, die gestellte Aufgabe (Funktion) mit entsprechender Wirksamkeit zu erfüllen bzw. welche Schwachstellen in der Systemorganisation erkennbar sind.
Diese zweite Etappe der Systemanalyse wird auch als Mikro-Untersuchung bezeichnet

Dritte Etappe: Untersuchung des Funktionierens und Verhaltens des Objekts als System und der Wirksamkeit der Basisprozesse im System, vor allem unter dem Aspekte ihrer Steuerbarkeit unter Bedingungen von internen und externen Störeinflüssen.
In diese Untersuchung fließen die Ergebnisse aus der ersten und zweiten Etappe der Systemanalyse ein.

Bei der Erfassung und Auswertung des zu erstellenden Datenmaterials kann die Einbeziehung statistischer Methoden sehr hilfreich sein (Ermittlung von Mittelwerten und Streuungsmaßen, Ermittlung von Korrelationen und Regressionen, Durchführung von Zeitreihenanalysen u. a.).

Vierte Etappe: Erarbeitung eines rechenfähigen kybernetisch-mathematischen Modells, welches es ermöglicht, das Verhalten des Systems bzw. den Ablauf von Prozessen unter jeweils definierten Bedingungen nachzuahmen (zu simulieren) oder auch Entscheidungen betreffs der Steuerung des Systems abzuleiten.

1 Siehe zum Beispiel:

HABERFELLNER, R./de WECK, Ol. L.: Systems Engineering: Grundlagen und Anwendung. Orell Füssli Verlag, Zürich 2018

KRALLMANN, H./BOBRIK, A.: Systemanalyse im Unternehmen: Prozessorientierte Methoden der Wirtschaftsinformatik. Verlag de Gruyter, Berlin 2013.