1.3  Steuerung von Systemen und Prozessen
1.3.5   Selbstlernende Steuerung Kyb 1350 [1/3]
a) Erfordernis der ständigen Anpassung des "internen Modells" an veränderte Bedingungen
Die Praxis zeigt: Was nutzt - in einer  aktuellen Entscheidungssituation - ein bislang bewährtes "internes Modell", wenn es die reale Situation im zu steuernden Prozess nicht mehr hinreichend genau abbildet?
Anschauliche Beispiele hierfür gab es in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts: Netzplanmodelle waren plötzlich "in", insbesondere im Bauwesen. Mit viel Aufwand fertigten technische Zeichner (mangels der heute verfügbaren Computergrafik und Computertechnik)  Netzpläne zu Bauvorhaben im DIN A1 - Format an. Mit viel Aufwand (ohne Taschenrechner) wurde der "kritische Weg" im Netzplan ermittelt und gekennzeichnet. Aber bereits wenige Tage nach dem Start des Vorhabens stimmte im Netzplan nichts mehr, da Vorgabezeiten nicht eingehalten wurden oder andere Störungen auftraten. Konsequenz: Weg mit dem Netzplan, das "Erfahrungsmodell" des Bauleiters wird es schon richten!

Was folgt daraus?
Die im Steuerprozess genutzten "internen Modelle" - sei es das Erfahrungsmodell einer Führungskraft oder sei es ein mathematisches oder kybernetisches Modell - müssen ständig an sich verändernde Situationen und Bedingungen im Steuerobjekt sowie in der Umgebung des betreffenden Systems angepasst wurden. Darauf wurde bereits im Kontext zur adaptiven Steuerung verwiesen (siehe Seite Kyb 1330).
Zu diesem Zweck muss ein spezifischer Rückkopplungsprozess installiert werden und dies führt uns zum Konzept der selbstlernenden Steuerung.
b) Lernen und selbstlernende Steuerung
Den Zusammenhang von Rückkopplung und Lernen hat der Begründer der Kybernetik, Norbert WIENER, wie folgt charakterisiert:

"Rückkopplung ist Steuerung eines Systems durch Wiedereinschalten der Arbeitsergebnisse in das System selbst.
Wenn diese Ergebnisse nur als zahlenmäßige Angaben für die Kritik des Systems und seiner Steuerung gebraucht werden, haben wir die einfache Rückkopplung der Regelungsingenieure vor uns.
Wenn indessen die vom System zurückgemeldete Information die allgemeine Methode und das Schema der Ausführung zu ändern vermag, haben wir einen Vorgang, der gut und gerne als Lernen bezeichnet werden kann."
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Damit kann der Begriff einer selbstlernenden Steuerung wie folgt bestimmt werden:

Von einer selbstlernenden Steuerung kann dann gesprochen werden, wenn das betreffende System in der Lage ist, das im Steuerprozess genutzte interne Modell Mint  durch systematische Aufnahme und Verarbeitung von Informationen aus dem Steuerobjekt P sowie aus der Umwelt so zu erweitern und zu verändern, dass dieses Modell stets in ausreichendem Maße die gegenwärtigen und wahrscheinlich eintretenden künftigen Prozess- und Umweltbedingungen abbildet und damit seine Fähigkeit behält, als Instrument für die Ableitung optimaler Entscheidungen im Steuerprozess dienen zu können.
Die Umsetzung des Konzepts einer selbstlernenden Steuerung bedingt, dass die in Bild 1.19 (Seite Kyb 1341) skizzierte funktionelle Struktur der selbstoptimierenden Steuerung und einen Analysator A mit den Funktionselementen der adaptiven Steuerung (Identifikation, Entscheidung, Modifikation) erweitert wird.

1 WIENER, N.: Mensch und Menschmaschine", Berlin 1952.
 Siehe auch: STEINBUCH, K.: Automat und Mensch. Kybernetische Tatsachen und Hypothesen. Springer Verlag, Berlin 1965.